Die beiden Mittelschülerinnen Lina (rechts) und Coleen machen in der Montageabteilung der Naab-Werkstätten Oberviechtach erste Erfahrungen in der Arbeitswelt. Nebenbei werden Barrieren zu Menschen mit Behinderung abgebaut.

Jede Woche gemeinsame Erlebnisse schaffen: Die Kooperation zwischen der Doktor-Eisenbarth-Mittelschule und den Naab-Werkstätten läuft seit 22 Jahren. Nun geht die „Mutter des inklusiven Schulprojekts“ in Ruhestand.

„Brücken bauen“ zwischen der Doktor-Eisenbarth-Schule und den neu eröffneten Naab-Werkstätten Oberviechtach. So lautete das Motto der Zulassungsarbeit von Fachoberlehrerin Gerlinde Lohrer im Schuljahr 2003/2004. Über zwei Jahrzehnte später läuft das inklusive Schulprojekt unter ihrer Leitung immer noch. Und das sehr erfolgreich: Jeden Dienstag arbeiten Siebtklässler der Ganztagsschule in den Werkstätten mit und auch die fünfte Jahrgangsstufe schnuppert schon mit rein.

„Wir sind zusammengewachsen“, sagt Gerlinde Lohrer beim Termin mit Oberpfalz-Medien in der Zweigstelle der Naab-Werkstätten Schwandorf. Sie freut sich, dass im sozialen Miteinander Barrieren abgebaut werden konnten. Helga und Gisela kommen lachend auf sie zu, freuen sich über eine Umarmung und einem kurzen Ratsch. Die gemeinnützige Einrichtung der beruflichen Rehabilitation für Menschen mit körperlichen, geistigen und/oder psychischen Behinderungen wurde 2002 im Industriegebiet West in Oberviechtach eröffnet. Schon ein Jahr später lag eine Einladung zum Frühlingsfest an der Doktor-Eisenbarth-Schule vor.

Rektor Werner Winderl, der ebenso wie Gerlinde Lohrer zum 1. August in den Ruhestand wechselt, ist beim Pressetermin mit dabei sowie auch der Leiter der Zweigwerkstätte, Christian Bronold. „Die wöchentliche Präsenz der Schüler ist ganz eng mit der Berufsorientierung und Einblicken in die Arbeitswelt verbunden“, betont Winderl und dankt den Werkstätten für diese Möglichkeit. Bronold sieht das Miteinander als einen Mehrwert für beide Seiten, „Berührungsängste und Vorurteile werden abgebaut“. Außerdem würden die Schüler mitbekommen, was Menschen auch mit Behinderung leisten können.

Das Projekt ist fest im Stundenplan der siebten Klasse der Ganztagsschule integriert. Jeden Dienstag, von 13 bis circa 15.30 Uhr, finden sich vier bis sechs Schüler mit einer Aufsichtsperson in den Naab-Werkstätten ein. Heute sind es zwei Jungs und zwei Mädels. Coleen und Lina entscheiden sich für die Montageabteilung. Sie sitzen wenig später mittendrin an den Fertigungstischen in der Halle und befestigen Aufkleber an Plastikdosen.

„Es macht einfach Spaß“, sagt Coleen. „Und wir wollen so viel schaffen, wie die anderen Mitarbeiter“, ergänzt Lina. Beide berichten begeistert davon, wie sie Gestänge für Feuerlöscher zusammengebaut haben, die dann in große Schachteln für den Transport gepackt wurden. Es werde aber nicht nur konzentriert gearbeitet, sondern auch geratscht und gelacht. Dazu gibt es eine gemeinsame Pause. Die Jugendlichen fühlen sich sichtlich wohl, haben Ängste im Umgang mit dem Anderssein abgebaut. „Ja, anfangs waren wir schon etwas unsicher“, verrät Coleen. Jetzt freut sie sich darüber, wenn sie auf der Straße von Bewohnern der Loewschen Einrichtung gegrüßt wird. „Da kenn ich ja jetzt einige.“

Fachoberlehrerin Gerlinde Lohrer hat das Inklusionsprojekt 2003 an der Doktor-Eisenbarth-Schule gestartet. Zusammen mit Rektor Werner Winderl (links) und dem Zweigstellenleiter der Naab-Werkstätten Oberviechtach, Christian Bronold, freut sie sich über die erfolgreiche Kooperation.

Die zwei Jungs, Samy und Haydar, arbeiten heute in der Metallwerkstatt mit. Bohren, Fräsen und Drehen stehen hier im Fokus. Sie werden mit ihrer persönlichen Schutzausrüstung ausgestattet, also mit blauem Arbeitsmantel, Schutzbrille und Sicherheitsschuhen beziehungsweise Überziehern mit Sicherheitskappe. Übrigens: Vor dem ersten Einsatz in den Naab-Werkstätten erhalten alle Schüler eine Sicherheitsunterweisung fürs Haus, unter anderem für den Brandschutz. Daneben gibt es jeden Dienstag die gruppenspezifischen Arbeitsunterweisungen. Metall-Gruppenleiter Michael Völkl teilt Samy und Haydar an zwei großen Bohrmaschinen ein: Platte einlegen, Hebel runterdrücken und wieder von vorne. Gefertigt werden Bauteile für die Industrie, aktuell für landwirtschaftliche Großgeräte.

Das neue Projektmotto „Wir packen es gemeinsam an, jeder so gut wie er kann“ steht nicht nur beim wöchentlichen Arbeitstreffen im Mittelpunkt. Im Jahreslauf gibt es mehrere Gegenbesuche: Das gemeinsame Kochen in der Schulküche, Bastelaktionen im Werkraum und das Maibaumaufstellen mit Volkstanz vor den Naab-Werkstätten. „Mein Vorgänger Rudolf Teplitzky hat den Kontakt sehr gepflegt und auch mir war es immer wichtig“, sagt Rektor Werner Winderl, der dabei auf Unterstützung des Kollegiums zählen konnte. Wie er anmerkt, habe es ihn immer gefreut, wenn Schüler im Büro vorbeigeschaut und von ihren Erlebnissen in den Werkstätten berichtet haben.

„Dass Menschen zusammenkommen und man gemeinsam etwas bewegt.“ So umschreibt Gerlinde Lohrer ihren Ansatz für das Projekt, welches sie im „Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung 2003“ in die Tat umgesetzt hat. Schon im gleichen Jahr gab es als Preis für die Teilnahme am Jugendwettbewerb des Freistaats Bayern „Na und! … Trotzdem gemeinsam“ eine Fahrt ins Legoland samt Treffen mit Ministerin Christa Stewens. „Beim inklusiven Naturerlebnistag in Perschen waren wir die erste Schule mit einer Kombi-Gruppe“, erinnert sich Rektor Winderl.

„Ich wollte schon immer Lehrerin werden“, erzählt Gerlinde Lohrer, Jahrgang 1960, im Gespräch mit Oberpfalz-Medien. Doch dann lernte sie ihren Mann, einen Landwirt kennen, wurde Bäuerin und legte die Prüfung zur Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft ab. Als sie dann plötzlich als Witwe mit zwei jugendlichen Kindern dastand, war die Landwirtschaft nicht mehr zu stemmen. Sie ging den Kindheitstraum Lehrerin an, der 2004 in die Anstellungsprüfung mündete.

Jetzt blickt die Fachoberlehrerin mit großer Freude auf ihr Berufsleben, überwiegend an der Doktor-Eisenbarth-Schule, zurück. Und es erfüllt sie mit ein wenig Stolz, dass das von ihr ins Leben gerufene Inklusionsprojekt schon über zwei Jahrzehnte andauert: „Der wöchentliche Besuch von Schülern in den Naab-Werkstätten hat zur Berufsfindung, sowie zum gegenseitigem Respekt und zu mehr Einfühlungsvermögen beigetragen.“

Ebenso wie Lohrer wünscht sich auch der Rektor, dass die Verbindung zwischen Schule und Werkstätten noch lange Bestand hat. „Es läuft“, bekräftigt Zweigstellen-Leiter Bronold. Und er nutzt die Gelegenheit, um auf das neue Inklusions-Café mit Mittagstisch im Industriegebiet West 17 hinzuweisen: „Wir haben uns gläsern gemacht, jeder ist bei uns willkommen.“

Naab-Werkstätten Oberviechtach

> Die Zweigwerkstätte der Naab-Werkstätten GmbH Schwandorf wird im August 2002 in Oberviechtach eröffnet.

> Es gibt drei Abteilungen: Metallwerkstatt, Montageabteilung und Arbeitsförderung.

> Zur Verfügung stehen 60 geschützte Arbeitsplätze auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt.

Text und Fotos: Gertraud Portner (Der neue Tag, 31.07.2025)